topthemen

Betriebsversammlung vor dem Traumzentrum Brigittenau am 6. März 2024

Die Proteste zeigten Wirkung, eine Totalschließung des Traumazentrums Brigittenau konnte abgewendet werden

Präsident der Kammer für Ärztinnen und Ärzte in Wien Johannes Steinhart bei der Betriebsversammlung

Traumazentrum Brigittenau gerettet

Das Jahr 2024 begann mit einem veritablen Beben im Bereich der unfallchirurgischen Versorgung in Wien: Am 28. Februar teilte die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA) mit, das Traumazentrum Brigittenau (ehemalige Lorenz-Böhler-Unfallkrankenhaus) aufgrund von Brandschutzmängel mit 2. April 2024 vorläufig komplett schließen zu wollen. Der Schock saß tief, immerhin waren die Missstände seit 2014 bekannt, die MA37 (Baupolizei) forderte die AUVA per Bescheid vom Juli 2023 auf, ein Sanierungskonzept zu erarbeiten. Durch die vereinten Anstrengungen des Betriebsrats, der Belegschaft sowie der Kammer für Ärztinnen und Ärzte in Wien, konnte die Totalschließung abgewendet werden.

Betriebsversammlung vor dem Traumzentrum Brigittenau am 6. März 2024

Ärztekammerpräsident Steinhart wandte sich an Kolleg*innen, Mitarbeiter*innen des Spitals sowie an die Politik

Das Traumazentrum Brigittenau/Lorenz Böhler leistete mit seinen rund 65 Betten einen wichtigen Beitrag für die unfallchirurgische Versorgung von Wien. Umso größer war der Schock, als das Spital im Zuge der Sanierung komplett geschlossen werden soll – was „im Sinne der Sicherheit von Leib und Leben alternativlos“ sei, wie die AUVA kommunizierte. Der Aufschrei ließ nicht lange auf sich warten: Die Zukunft der Versorgung von Patient*innen sowie des Personals war nicht geklärt, die Sorge war groß, dass eingespielte Teams auseinandergerissen würden. Hochproblematisch war zudem, dass weder die Belegschaft noch der Betriebsrat des Traumzentrums in die Pläne der AUVA eingebunden war. Zudem gab es keinen Plan, wie die Ausbildung von Jungmediziner*innen fortgesetzt werden soll.

Im Rahmen einer Betriebsversammlung vor dem Krankenhaus am 6. März machten zahlreiche Kolleg*innen und Mitarbeiter*innen lautstark ihre Unzufriedenheit deutlich. Die Kammer der Ärztinnen und Ärzte für Wien unterstützte die Lorenz-Böhler-Belegschaft, vertreten durch den Ärztekammerpräsidenten und die damalige Vizepräsidentin und Obfrau der Kurien angestellte Ärzte. Sie wandten sich an Kolleg*innen, Mitarbeiter*innen des Spitals sowie an die Politik. Um den Worten mehr Nachdruck zu verleihen, wurden auch Streiks nicht ausgeschlossen.


Die Proteste zeigten Wirkung, eine Totalschließung des Traumazentrums Brigittenau konnte abgewendet werden.

Die Proteste zeigten Wirkung, eine Totalschließung des Traumzentrums Brigittenau konnte abgewendet werden. Ein erster wichtiger Meilenstein für die Weiterführung der unfallchirurgischen Versorgung im Lorenz-Böhler-Unfallkrankenhaus konnte erreicht werden, indem durch Priorisieren der Verbesserung des Brandschutzes wieder tagesklinisches Operieren am Standort ab Juli möglich wurde. Nach anfänglichem Chaos kann nun zumindest in kleinerem Umfang wieder operiert werden. Weiters stellte die AUVA als Provisorium ein Containerspital mit 65 Ortho-Trauma-Betten in Aussicht, das Mitte 2025 in Betrieb gehen soll. Mit dem geplanten Containerspital soll im nächsten Schritt wieder ein Vollbetrieb am Standort ermöglicht werden. Die Kammer der Ärztinnen und Ärzte für Wien beobachtet die Entwicklungen beim Lorenz-Böhler-Spital weiterhin genau und drängt darauf, dass alle Maßnahmen für den Vollbetrieb wie von der AUVA zugesagt so rasch wie möglich umgesetzt werden.

Präsentation des Ärztekammer-Plakates „Kein Platz für Gewalt und Aggressionen“ bei der Pressekonferenz

Mit der Corona-Pandemie kam es zu einer immer noch nachwirkenden Verschärfung der Positionen, auch und gerade im Gesundheitsbereich. Nach anfangs breiter Solidarisierung mit den Gesundheitsberufen richtete sich rasch heftige Kritik an den Corona-Maßnahmen gegen die Ärzt*innen. Aufgrund der immer sichtbarer werdenden Probleme in der Gesundheitsversorgung sind Ärzt*innen in Spitälern und Ordinationen immer öfter mit offener Aggression konfrontiert.

Eine Hajek-Umfrage im Auftrag der Kammer für Ärztinnen und Ärzte in Wien vom April 2024 belegt diesen schockierenden Befund mit Zahlen: Mehr als die Hälfte der Befragten (56 %) sehen eine Zunahme von Aggression und Gewalt gegen die Ärzt*innenschaft im Vergleich zur Zeit vor Corona. Im Bereich der Kassenordinationen sehen sogar 69 % eine Gewaltzunahme. 


key findings

Die häufigste Form erlebten Aggressionsverhaltens waren verbale Gewalt mit 55 % der Nennungen, gefolgt von psychischer Gewalt mit 24 % und physischer Gewalt mit 16 %. Für viele Ärzt*innen gehört Aggression fast schon zum Arbeitsalltag, 37 % der Befragten berichten von regelmäßigen Gewalterfahrungen. 
Gewalt jedweder Form bleibt nicht ohne Folgen, mehr als die Hälfte (55 %) der befragten Ärzt*innen gaben an, dass sie psychisch unter der Unsicherheit am Arbeitsplatz litten, bei knapp einem Drittel (32 %) sei auch das Privatleben betroffen. Dementsprechend wünschen sich 68 % der Befragten zusätzliche Maßnahmen gegen Gewalt am Arbeitsplatz. Die Hauptursache für die entgegengebrachte Aggression liegt für 78 % der Befragten in der Kombination aus langen Wartezeiten, überlaufenen Praxen und Spitälern sowie Personalmangel. Den generellen Anstieg der Aggression in der Gesellschaft nannten 71 %. 

Die Kammer für Ärztinnen und Ärzte fordert von der Politik, durch gute Rahmenbedingungen dafür zu sorgen, dass genug Ärzt*innen in den Spitälern und Ordinationen für die Bevölkerung da sind. Kürzere Wartezeiten sind ein wichtiger Punkt, um Stress aus dem Gesundheitssystem zu nehmen. Die Politik muss das Thema Gewaltschutz in der Medizin mehr in den Fokus zu rücken. 
Zudem bietet die Kammer für die Ärzt*innenschaft laufend Trainings zu den Themen Deeskalation und Selbstschutz an. Hier steht der Umgang mit eskalierenden Konflikten und gewaltbereiten Menschen in Spitälern und Ordinationen im Mittelpunkt. Zudem wird eine professionelle Kommunikation, um Auseinandersetzungen zu entschärfen, erlernt und geübt oder grundlegende Basics rund um das Thema Körperhaltung und Körpersprache trainiert.

wartezeitenstudie

Erste Hilfe
Erste Hilfe

Im Zuge der Initiative „Auf geht’s“ fordern Präsident Johannes Steinhart und Vizepräsidentin Naghme Kamaleyan-Schmied eine massive Aufwertung des Kassenbereichs

Im Mai 2024 präsentierte die Kammer für Ärztinnen und Ärzte in Wien unter großer medialer Aufmerksamkeit die Wartezeitenstudie 2024, die auf die dramatische Verschlechterung der Gesundheitsversorgung hinweist. Das Fazit von Meinungsforscher Peter Hajek: Das öffentliche Gesundheitssystem leidet unter einem Mangel an Kassenärzt*innen, was zu immer längeren Wartezeiten führt. Besonders betroffen sind Bereiche wie Kinder- und Jugendpsychiatrie, Neurologie und Gynäkologie und Frauenheilkunde. In einigen Fachrichtungen wie der Kinder- und Jugendheilkunde können teilweise keine neuen Patient*innen mehr aufgenommen werden. 

key findings

  • Die Wartezeiten sind in fast allen Fachrichtungen merklich gestiegen, einzige Ausnahme: Orthopädie
  • Besonders lang sind die Wartezeiten in den Bereichen Kinder- und Jugendpsychiatrie und Neurologie (allerdings geringe Fallzahlen, insbesondere in Kinder- und Jugendpsychiatrie)
  • Der Bereich Allgemeinmedizin schneidet bei den Wartezeiten am besten ab, hier hätten 52 % der Testanrufer einfach vorbeikommen können; allerdings nahmen auch 29 % keine neuen Patient*innen mehr auf
  • Fachrichtungen, in denen überdurchschnittlich keine neuen Patient*innen mehr aufgenommen werden, sind Gynäkologie, Kinderheilkunde, Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychiatrie
  • Die verschiedenen Versorgungsregionen haben Stärken und Schwächen in unterschiedlichen Fachrichtungen, es kristallisiert sich keine Versorgungsregion heraus, die insgesamt deutlich besser oder deutlich schlechter abschneidet

Im Zuge der Initiative „Auf geht’s“ fordern Präsident Johannes Steinhart und Vizepräsidentin Naghme Kamaleyan-Schmied eine massive Aufwertung des Kassenbereichs, einschließlich einer besseren Finanzierung und Ausweitung der Kassenstellen. Zusätzlich sollen flexiblere Arbeitsmodelle, modernere Kassenverträge und die Förderung von Gemeinschaftspraxen zur Verbesserung der Versorgung beitragen. Weitere Forderungen umfassen eine faire Honorierung, die Aufnahme zusätzlicher Leistungen in den Katalog und die Umsetzung der „Patientenmilliarde“. Angesichts der prekären Lage fordert die Standesvertretung von der Politik zügige Reformen, um das Gesundheitssystem zukunftssicher zu machen und eine faire Versorgung für alle Patient*innen zu gewährleisten.


Ärztekammer Heisst jetzt neu

Die „Ärztekammer für Wien“ wurde im September zur „Kammer für Ärztinnen und Ärzte in Wien“. Diese Entscheidung würdigt den wachsenden Anteil weiblicher Medizinerinnen in Wien, die heute mehr als 53 % der Ärzt*innenschaft ausmachen. Ein Antrag von Ärztinnen, initiiert von Vizepräsidentin Naghme Kamaleyan-Schmied, wurde in der Vorstandssitzung der Kammer angenommen. Präsident Johannes Steinhart betont die wichtige Rolle von Frauen in der Medizin und setzt sich für mehr Frauen in Führungspositionen und bessere Rahmenbedingungen ein. Kamaleyan-Schmied fordert Chancengleichheit, flexiblere Arbeitszeiten und eine gerechte Honorierung für alle Ärzt*innen.